Quelle: Peter Paul Weiler/DRV Bund
Alexander Gunkel, Anja Piel, Dr. Elmar Stracke und Gundula Roßbach
Laudatio
Auszug aus der Laudatio von Alexander Gunkel zur Preisverleihung auf der Bundesvertreterversammlung am 07.12.2023 in Berlin:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
die Verleihung des Forschungspreises unseres Forschungsnetzwerks Alterssicherung ist seit Jahren fester Bestandteil der Dezembersitzung der Bundesvertreterversammlung. Ich freue mich sehr darüber, Ihnen zunächst den Preisträger sowie die Arbeit vorzustellen, bevor wir dann zur offiziellen Übergabe des Preises schreiten.
Auch in diesem Jahr gab es wieder exzellente Bewerbungen für den FNA-Forschungspreis. Wir haben im Juni im FNA-Beirat – unterstützt durch fachliche Gutachten – intensiv über die eingereichten Arbeiten diskutiert und schließlich eine Empfehlung ausgesprochen, der der Bundesvorstand gefolgt ist. 2023 geht der FNA-Forschungspreis an Dr. Elmar Stracke für seine Dissertation „Die moralische Zulässigkeit kalendarischer Altersgrenzen“.
Dr. Elmar Stracke hat an der Universität Bayreuth den Bachelorstudiengang “Philosophy & Economics” und im Anschluss daran das Masterstudium in “Comparative and European Social Policy” an der London School of Economics and Political Science absolviert. Für die Promotion ist er wieder an die Universität Bayreuth zurückgekehrt, bei der – folgt man der Kurzbeschreibung des Bachelorstudiengangs – die „Heranführung an schwierige Entscheidungsprobleme“ begann. Nun, ob sein Forschungsthema in den Bereich der schwierigen Entscheidungsprobleme fällt, kann er uns gleich selbst sagen – um sich allerdings moralphilosophisch mit der Zulässigkeit kalendarischer Altersgrenzen auseinandersetzen zu können, muss Herr Stracke auf jeden Fall auf Bausteine und Konzepte aus verschiedenen Disziplinen zurückgreifen.
So befasst er sich in seiner Arbeit sehr ausführlich mit Theorien zu Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit, sozusagen dem Fundament für die philosophische Argumentation. Dabei macht er deutlich, wie unterschiedlich die Perspektiven auf Gleichheit und Gerechtigkeit sein können. Differenziert ist auch sein Blick auf verschiedene Dimensionen des Begriffs Alter sowie die Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Alter und Lebenslage. Wie nicht anders zu erwarten, setzt sich Herr Stracke in seiner Arbeit auch mit den Grundzügen des Rentensystems und der Alterssicherung auseinander. Mit Hilfe der erarbeiteten Konzepte und den gerechtigkeitstheoretischen Bewertungskriterien Willkür, Effizienz und Gleichheit wägt er schließlich Argumente für und gegen die moralische Zulässigkeit kalendarischer Altersgrenzen ab.
Ich möchte Herrn Stracke nicht zu viel vorgreifen, soviel sei aber verraten: Im Ergebnis kommt er zu dem Schluss, dass kalendarische Altersgrenzen aus moralphilosophischer Perspektive durchaus zulässig sind. Ich denke, das ist für uns alle schon einmal eine beruhigende Nachricht, weil wir damit die wissenschaftliche Bestätigung haben, dass wir mit der Verwaltung unserer Rentenversicherung, die ja bei allen Altersrenten ein Mindestalter voraussetzt, nichts Unmoralisches tun.
Stracke dekliniert verschiedene alternative Zugangsvoraussetzungen für einen gerechteren Renteneintritt durch und zeigt dabei, dass diese Kriterien schwer zu operationalisieren sind, „systematische Verzerrungen“ aufweisen und – so Strackes Kernargument – geringere „Willkürgleichheit“ besitzen, d. h. die Altersgrenze ist zwar willkürlich in der Festsetzung, aber es herrschen diesbezüglich für alle eindeutige und gleiche Rahmenbedingungen, mit denen sie planen können.
Wie Elmar Stracke es selbst formuliert, soll seine Arbeit dazu beitragen, „die moralphilosophische Bedeutung der kalendarischen Altersgrenze umfänglich und systematisch einzuordnen, um eine solide ethische Grundlage für politische Entscheidungen zu ermöglichen“ (S. 14).
Aus Perspektive der Rentenversicherung hat sich Herr Stracke einem breit und teilweise kontrovers diskutierten Alterssicherungsthema auf für uns eher ungewohnte Weise genähert. Es ist – nebenbei angemerkt – auch die erste philosophische Arbeit, die mit dem FNA-Forschungspreis ausgezeichnet wird.
Das Dissertationsthema von Elmar Stracke besitzt hohe sozialpolitische Relevanz und seine philosophische Abhandlung über Gerechtigkeitskonzeptionen und die moralische Zulässigkeit von kalendarischen Altersgrenzen stützt ein Hauptanliegen des FNA und der Rentenversicherung – nämlich zur Versachlichung der Alterssicherungspolitik beizutragen. Insofern ist es durchaus erhellend, die normativen Maßstäbe, unterschiedliche Konzeptionen von Gleichheit und Gerechtigkeit sowie ergänzende Komponenten vertieft zu reflektieren.
Die Arbeit zeigt uns, dass es durchaus naheliegend und sinnvoll sein kann, über andere bzw. zusätzliche Kriterien für den Renteneintritt nachzudenken. Sie zeigt aber auch eindrücklich, dass sich damit nicht per se mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft erzeugen lässt. Denn egal welche alternativen Kriterien herangezogen werden, die Umsetzung und auch die Gerechtigkeitsabwägungen werden tendenziell anspruchsvoller. Eine einfache, wenn auch pauschalierende Zugangsvoraussetzung für die Altersrente, wie wir sie mit dem Lebensalter haben, kann sich vor diesem Hintergrund durchaus als beste Lösung herausstellen.